Laskers allumfassender Spielstil

Eine alte Formel mit neuem Leben zu füllen, dies ist der Sinn und die innere Berechtigung nachfolgender Zeilen. Den äußeren Anlaß hierzu gibt uns Laskers 60jähriger Geburtstag, den inneren - unsere Bewunderung und Verehrung des großen Meisters.

Die alte Formel, von der hier die Rede sein soll, lautet so: „Laskers Spielführung ist von geradezu imponierender Vielseitigkeit“. Damit soll gesagt sein, daß Lasker „alle Teile der Partie“, wie etwa Mittelspiel und Endspiel, Angriff wie Verteidigung mit gleicher Virtuosität behandle. Aber für die Modernen besteht die Schachpartie nicht mehr aus „Angriff“ und „Verteidigung“ und noch weniger aus Mittelspiel und Endspiel. Um die Frage nach Laskers Vielseitigkeit bejahen zu können, wäre vielmehr zu untersuchen, ob er die schwierige Kunst der Prophylaxe und Überdeckung voll beherrsche und ob er ferner das Spiel gegen Felderschwächen von bestimmter Farbe meistere. Und schließlich wäre seine Lavierungstechnik zu bewerten.

Wir beginnen mit den Felderschwächen.

Die Lehre vom bestimmtfarbigen schwachen Felderkomplex ist ziemlich neuen Datums, Lasker hat aber schon vor 20 und 30 Jahren wunderbare Partien dieser Art geliefert, wir erinnern nur an seine Partie gegen Tartakower Petersburg 1909. Die virtuose Unauffälligkeit, mit der er seit jeher es verstanden hat, sich frühzeitig eine Basis für weiß- bezw. schwarzfeldrige Operationen zu verschaffen, darf heute noch, trotz Aljechin, der ja genanntes Stratagem zu seinem Spezialgebiet gemacht hat, als unübertroffen hingestellt werden.

Es gibt unter allen, jungen und alten Großmeistern keinen einzigen, der im Bezug auf Lavierungstechnik Lasker nur annähernd gleichkommt. Es gibt einen Probestein: die Paulsen-Variante der Sizilianischen Partie. Heute, da sie bereits ins Reich der Hauptturnierspieler gedrungen ist, ist sie natürlich bei weitem nicht so schwer zu spielen, wie vor 30 Jahren, Und doch erleben wir es noch heute, daß ein Meister wie Bogoljubow seinen Paulsen glatt überstürzt (siehe Partie gegen Réti, Kissingen) während Lasker hierin schon vor 10 Jahren Proben langsamster, tiefschürfender Strategie lieferte,

Die vom Schreiber dieser Zeilen propagierte Überdeckung wird zwar von Lasker in gewissem Sinne abgelehnt (er erkennt nicht das strategisch Beglückende der Verbindung zwischen starkem Punkt einerseits und den überdeckenden Offizieren andererseits an). Aber, wenn wir die Überdeckung eigener starker Punkte als weitausschauende Konsolidierungsmaßnahme auffassen wollen, so hat Lasker mehr Überdeckung geübt als der Erfinder selbst.

Und erst gar die Prophylaxe! Noch vor 14 Jahren hatte Dr. Tarrasch den „mysteriösen Turmzug“ zur Zielscheibe seines Spottes gemacht. Bedenkt man aber, daß genannter Turmzug gewissermaßen zu den Anfangsgründen der Prophylaxe gehört und zieht man ferner in Betracht, daß Tarrasch bis etwa 1911 die Spitze der Schachgelehrsamkeit bedeutete, so wird man ermessen können, um wieviel Jahre Lasker seiner Zeit voraus sein mußte, er, der schon vor 30 Jahren die weitverzweigtesten prophylaktischen Stratageme in Anwendung zu bringen wußte.

Und zum Schluß noch eins: zu den modernen Schlagworten gehören „Phantastik“ (die Tartakower dem Bogoljubow nachrühmt) und die „Präzision“ (die Aljechin in besonders hohem Maße zu besitzen... glaubt.) Was nun Lasker anbelangt, so besitzt er auch heute noch mehr Phantastik (sein vielgerühmter „Vorgabestil“!) als manche der in Betracht kommenden Meister zusammengenommen. Und seine Präzision ist bewundernswert. - Fürwahr, Laskers Spielführung ist von wunderbarer, schlechtweg genialer Vielseitigkeit! Möge er uns noch recht, recht lange erhalten bleiben!

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