Abschnitt VI

Diagramm 4

Eine Bauernmehrheit auf dem Königsflügel.

Der geehrte Leser, der meinen Ausführungen bis dahin freundlich gefolgt ist, wird nun gebeten, sein Augenmerk der Bauernmehrheit zuwenden zu wollen. Auf dem Diagramm 4 wird nun eine solche vorgeführt. Wir sehen drei weiße Bauern im Kampfe gegen nur zwei. Eine gesunde Bauernmehrheit, also eine nicht aus Reih' und Glied gebrachte, muss einen Freibauern ergeben können. Nichts leichter als das, werden die freundlichen Leser beim ersten Blick auf Diagramm 4 ausrufen. Sehr wahr, aber doch möchte ich mir gestatten, bei dieser Gelegenheit eine kleine Regel vom Stapel zu lassen, von der meine skandinavischen Zuhörer behaupten, dass sie „unvergesslich" sei, also sich einem ins Herz einschmeichle, etwa wie ein Wiener Walzer. Der Weg zu dieser Regel führt über eine kleine Definition: Von den drei weißen Königsflügelbauern ist zur Zeit keiner „frei", indes ist einer von ihnen unzweifelhaft weniger behindert als die anderen. Ich meine den f-Bauern, denn der hat zum Mindesten keinen Antagonisten. Der f-Bauer soll also frei werden, er ist also der rechtmäßige „Kandidat". Und diesen Titel geben wir ihm auch, wir geben ihm einen akademischen Grad: Herr Kandidat. (Also derjenige Bauer in einer Bauernmehrheit, der keinen Antagonisten hat, ist der „Kandidat".) Und daraus ergibt sich die lakonische Regel: Der Kandidat hat den Vortritt, eine Regel, die nicht nur von strategischer Notwendigkeit, sondern vielmehr auch, wie Sie zugeben werden, von der „Höflichkeitspflicht" diktiert wird. (Also unvergesslich für jeden, der sich einen höflichen Mann nennt, und das tun wir alle.) Wissenschaftlich exakt ausgedrückt, präsentiert sich die Regel folgendermaßen: Die Spitze des Vorgehens liegt im Kandidaten, die anderen Bauern sind bloß als die Begleiter zu betrachten, also f2—f4—f5, sodann g2—g4—g5 und f5—f6. Bei Stellung der schwarzen Bauern auf g6, h5 geschieht f4 g3 (nicht sofort h3 wegen h4 mit Lähmungserscheinungen) h3, g4 und f5. Wie einfach! Und doch wie oft sieht man schwächere Spieler in der Diagrammstellung mit dem g-Bauern vorlaufen; darauf folgt g7—g5 und die Mehrheit ist wertlos. Ich habe mir häufig den Kopf darüber zerbrochen, weshalb die minder geübten Spieler mit g2—g4 beginnen. Die Sache ist einfach zu erklären, die Betreffenden sind unschlüssig, ob sie nun links (f4) oder rechts (h4) beginnen sollen und in ihrer Ratlosigkeit entschließen sie sich nach guter Bürgerart dazu, den goldenen Mittelweg zu wählen ...