3c Die hängenden Bauern

deren Stammbaum und was wir daraus ersehen können. Das Vorgehen in eine blockierte Stellung.

Den Werdegang bzw. die Entstehungsgeschichte der beiden hängenden Bauern findet man im Diagrammtrio 165-167 veranschaulicht.

Vom „Isolani“ zu den „Hängenden“

Ein Spiel in 3 Bildern
nach der Partie Rubinstein-Nimzowitsch, Karlsbad 1907

Diagramm 165

1. Bild:
Der Isolani

Diagramm 166

2. Bild:
Das isolierte Bauernpaar

Diagramm 167

3. Bild:
Die beiden „Hängenden“

Ein Blick auf dasselbe beweist, daß wir den Ursprung der Hängenden vom Isolani herzuleiten gesonnen sind: der Stammbaum der Hängenden führt direkt zum Isolani als Stammherrn hin. Dieser Gesichtspunkt, dessen Stichhaltigkeit sich nachweisen läßt, wird uns trefflich zu statten kommen, denn wir gewinnen dadurch die Möglichkeit, die in ihren Motiven recht unübersichtlichen „Hängenden“ an ihrem eher übersichtlichen Großpapa messen zu können; kurz, das Studium der Familiengeschichte soll uns das Verständnis für das eine besonders komplizierte Familienmitglied erleichtern helfen. Vom Großpapa, dem Herrn Isolani, haben die „Hängenden“ einen wesenhaften Charakterzug ererbt, nämlich jene seltsame Mischung aus statischer Schwäche und aggressiver Kraft. Aber während beim Isolani sowohl Schwäche als auch Kraft klar zu Tage traten (wir erinnern: bei schwarzem Isolani Bd5 ist Bd5 selbst schutzbedürftig, ferner können das Feld d4 und die umliegenden Felder c5, e5 zu Endspielschwächen werden. Die Stärke dagegen beruhte darin, daß e4 und c4 zu Vorpostenpunkten tendierten, eventuell war auch mit einem gelegentlichen Vorstoß d5-d4 zu rechnen), ist bei den „Hängenden“ beides verdeckt. Als feststehend sind bei diesen höchst problematischen Naturen eigentlich nur zweierlei Dinge zu betrachten:

  1. daß die beiden Hängenden (beispielsweise im Diagramm 167) „ungedeckt“, d. h. von keinem Bauern gedeckt sind und daß die auf dem Wege der offenen Linien erfolgende Beschießung aus eben genanntem Grunde um so lästiger wirken müsse;
  2. daß die Möglichkeit, eine verhältnismäßig gesicherte Stellung zu erlangen (ich meine, eine Stellung zu erreichen, in der die beiden Hängenden einander decken, etwa c5, d4 oder d5, c4, Diagramm 167), daß diese Möglichkeit sich recht häufig biete.

Die Problemstellung ist aber folgende: Wenn die eben angedeutete Möglichkeit, in relative Sicherheit zu gelangen, nur durch Aufgabe jeglicher Zentralinitiative zu erkaufen ist, wenn die in „Sicherheit“ gelangenden Bauern blockiert werden können, ist es da nicht ratsamer, auf die sich darbietende „Sicherstellung“ zu verzichten und weiterhin „hängend“ zu bleiben?

Die Antwort fällt nicht leicht. Es kommt eben ganz auf die näheren Umstände an, nämlich auf die Art und die Details der erfolgenden Blockierung. Daß die „Sicherheit“, in der sich ein blockierter Komplex wiegen dürfte, nur ein sehr dehnbarer Begriff ist, das möchte ich übrigens gleich vorwegnehmen: blockierte Bauern tendieren nur allzuleicht zur Schwäche. Trotzdem erscheint es in einzelnen Fällen durchaus angemessen, die Hängenden in eine blockierte Stellung vorrücken zu lassen. Diese Fälle sind folgende:

  1. die dem gegnerischen Blockadering angehörenden Bauern sind ihrerseits angreifbar (siehe Bb2 in Rubinstein-Nimzowitsch 1907);
  2. die Blockade kommt dem Gegner zu teuer zu stehen, will besagen, der erforderliche Blockadeapparat ist zu groß bzw. die dem Gegner zur Verfügung stehenden Blockeure erweisen sich irgendwie als ungeeignet (fehlende Elastizität bzw. ungenügende Drohwirkung vom Standplatze aus, siehe 4.3 Der Blockeur im Haupt- und Nebenberuf).

Als Gegenstück hierzu geben wir die Diagramme 168 und 169.

Diagramm 168

E. Cohn-Duras, Karlsbad 1911
Die Sicherstellung der Hängenden war eine sehr relative. c5 ist schwach, allerdings ist d4 ein Freibauer

Diagramm 169

Bd4 ist das Produkt der beiden Hängenden c5 und d5. Vor vielen Zügen geschah d5-d4, e3xd4, c5xd4. Der Bd4 wird nun durch Ke2-d3 blockiert und Weiß erhält Vorteile.

Die Wahrheit scheint also in folgendem Sachverhalt zu liegen:

Ebenso wie unsere Beurteilung des weißen Isolani d4 von dem größeren oder geringeren Grade der Initiative abhängig war, die ihm anhaftete (der vom Bauern gestützte Vorpostenpunkt mußte irgendwie von Belang sein), ebenso glauben wir von den in – blockierte – Sicherheit gelangten Hängenden ein gewisses Maß an Initiative verlangen zu dürfen. Tote Passivität ist aussichtslos.

Wir geben nun einige Beispiele.

Viel häufiger geschieht in der Meisterpraxis der Zug d5-d4 bzw. d4-d5 (aus der Hängestellung c4, d4). Er führt in niedlicher Weise zur Abschließung eines nicht unoriginellen Kreislaufes: vom Isolani über Hängende zum Isolani. Hierbei kommt es ganz darauf an, ob der neuentstandene Isolani sich bewähren kann.

Weniger bequem gestaltete sich das Spiel für den Besitzer der Hängebauern im Falle des Diagrammes 170.

Diagramm 170

Der Lernende beachte die Art, den d-Bauern indirekt zu decken. Dieses Stratagem bildet für den Verteidiger eine Chance mehr, aus der Misere der Hängebauern zu geordneten Verhältnissen zu gelangen.

Im großen Ganzen ist der „Hängezustand“ als ein nur vorübergehender Zustand zu betrachten; es kommt eben nur darauf an, den rechten Moment zur Liquidierung dieses Zustandes zu finden. Für gewöhnlich geht der Verteidiger um einen oder zwei Züge zu früh vor, das Verharren wird eben vermieden, weil das Bewußtsein „in der Luft zu schweben“ der menschlichen Psyche doch noch nicht recht zusagen mag. Immerhin, eine Forderung müssen wir an den freundlichen Leser stellen: „Wenn Sie schon im Begriffe stehen, Ihre Hängebauern zu realisieren, so tun Sie es nicht eher, als bis Sie in der Lage sind, hinter der von Ihnen ersehnten „blockierten Sicherheit“ einen Schimmer von Initiative zu wittern: in eine tote Blockadesituation dürfen Sie sich nie und nimmer begeben, dann schon lieber „weiter schweben“!

Und nun wenden wir uns den Läufern zu.