3.3 Die fünf Spezialfälle in der 7. Reihe

  1. 7. Reihe „absolut“ und Freibauern.
  2. Die doublierten Türme halten ewiges Schach.
  3. Remisapparat T+S.
  4. Raubzug in der 7. Reihe.
  5. Das kombinierte Spiel in der 7. und 8. Reihe (Umgehung von der Ecke aus)

Unter 7. Reihe „absolut" verstehen wir die den gegnerischen König einschließende 7. Reihe. Beispiel: Weiß: Ta7, Schwarz: Kf8 Bf6.

Indes bei Stellung des Bauern auf f7 wäre die Wirkung nicht „absolut“. 1. Fall: Die 7. Reihe absolut und weit vorgeschrittene Freibauern gewinnen fast regelmäßig.

Beispiel: Weiß Kh1, Te7, Bb6; Schwarz Kh8, Td8.

Diagramm 32

In der Stellung Tarrasch-Lasker, Berlin 1918 (s. Diagramm 32a) zeigt Lasker in einer Glosse den Gewinn nach

Diagramm 32a

Interessant wäre aber nach 1. … Ta2+ der weiße Versuch, durch 2. Ke1 die absolute 7. Reihe zu neutralisieren.

2. Spezialfall: Remis durch ewiges Schach. Findet sein Interesse in einem psychologischen Fehler, der üblich ist Weiß: Kh2, Td7 f7, Bh3; Schwarz Ke8, Tf1, Lf3, Be5 f4.

Woraus sich die Moral ergibt:

  1. Nicht immer ist Abwechslung ersprießlich.
  2. Td7 war ein braver Wächter, bemühe nicht einen solchen unnützerweise.

3. SpezialfalI: Der Remismechanismus (ewiges Schach) T+S. Weiß: Kh2, Tb7‚ Sf6; Schwarz: Kf8, Bc2 d2 e2. Schwarz hat 3 junge Königinnen, Weiß sucht ewiges Schach herbeizuführen.

Das war ein begabter schwarzer König, er beging Selbstmord in der Mitte des Brettes; der mittelmäßig begabte König würde hierzu die Ecke vorziehen.

Der 4. ganz einfache Fall, der aber unerläßlich ist mit Rücksicht auf den sehr komplizierten Fall 5, besteht in einem Treibmanöver: Der König wird aus der Ecke herausgetrieben und darauf erfolgt ein Raubzug. Beispiel: Weiß Kh2, Ta7 b7, Bg2 g6 h3; Schwarz Kh8, Tc8 d8 Lf1.

Zu beachten ist in diesem 4. Fall die Fähigkeit der Vereinigten Türme, den feindlichen König aus der Ecke bis ans 3. Feld (also f oder c) zu jagen. Diese Fähigkeit bildet die Grundlage für Fall 5.

Fall 5: Stellung: Weiß Ta7 d7; Schwarz Kh8, Db8.

Weiß, der die 8. Reihe zu besetzen gedenkt, versucht dieses - da der gerade Weg wegen der Deckung durch die Dame nicht gangbar erscheint - auf hinterlistige Weise zu erreichen; er besetzt die Ecke, treibt gleichzeitig den gegnerischen König heraus und schafft so Platz für den umgehenden Turm, also 1. Th7+ Kg8 2. Tag7+ Kf8 und nun 3. Th8 mit Damengerwinn. Die nach den Turmschachs auf h7 und g7 entstandene Stellung bildet die für uns typische Ausgangsstellung für sämtliche Umgehungsmanöver von der 7, nach der 8. Reihe hin (s. Diagramm 33).

Diagramm 33

Die Basis für die Umgehung

Die Analyse dieser Ausgangsstellung zeigt uns zwei umgehungsbereite Türme, aber auch einen schlagfertigen König: des letzteren Kontakt mit Turm g7 bewahrt ihn (den König) vor dem schlimmsten (vor Matt auf h8). Solange dieser Kontakt besteht, ist das Matt unausführbar. Dem Könige geht es hier etwa wie einem Spaziergänger, der sich plötzlich von einem Straßenräuber bedroht sieht; schon hebt der Räuber seine bewaffnete Hand, da fällt ihm der Spaziergänger in den Arm und läßt nicht mehr los, denn er weiß: so lange der Kontakt andauert, kann der Räuber nicht zum entscheidenden Schlage ausholen. Also Regel: Der umgangene König suche den Kontakt mit dem „näheren“ Turme so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, die umgehenden Türme dagegen suchen diesen ‚Kontakt abzuschütteln, ohne indes die Stellung der Türme zu verändern. Und als zweites ergibt sich, daß der Umgangene in die Ecke strebt, der Umgehende aber den König aus der Ecke jagen will und muß.

Von der Ausgangsstellung ausgehend kann Weiß dreierlei Manöver versuchen:

  1. sofortigen materiellen Gewinn,
  2. Mattkombination durch Abbruch des „Kontaktes“ zwischen Turm und König,
  3. Tempogewinn-Kombination.

a. Haben wir bereits betrachtet, falls also etwa eine feindliche Dame irgendwo in der 8. Reihe steht, so folgt aus der Ausgangsstellung heraus Th8+ mit Eroberung der Dame unter Preisgabe des eigenen Turmes g7.

b. Der Kontakt ist abzubrechen entweder durch Deckung des Turmes g7 (durch Bauer oder Figur), oder aber dadurch, daß der König f8 vom Turm g7 (der sich nicht vom Platze rührt) durch anderweitige Schachs entfernt wird. Weiß: Tg7 h7, Le1; Schwarz: Kf8, Da8, Ta2.

Es geschieht Le1-b4+ Ke8 und nun haben die Türme freie Hand zum tödlichen Schlage: Th8 matt. Statt Le1 könnten wir uns auch einen weißen Bauern auf e6 denken,

die Folge wäre 1. e7+ Ke8 2. Th8+, die ermöglichte Umgehung, aber der schwarze König hat nun ein Fluchtfeld gewonnen, das ihm vorher noch verschlossen war; 2. ... Kd7, das spielt aber keine Rolle, denn die Luft, die wir ihm gönnten, sie war, ach - vergiftet: 3. d7-d8D+ und setzt in Bälde matt. Siehe auch hierzu Diagramm 34.

Diagramm 34

c. Siehe Diagramm 35. Durch 1. Th7+ Kg8 2. Tfg7+ Kf8 wäre die Ausgangsstellung zu erreichen, aber was weiter?

Diagramm 35

Resumierend sagen wir, daß c) darin besteht, daß Weiß durch „Berührung mit der Ausgangsstellung“ neue Angriffskraft gewinnt, oder einfacher: durch Herbeiführung der „Ausgangsstellung“ schafft er eine Mattdrohung und dadurch ein freies Tempo zu einem Raub: Tempogewinn.

Damit wäre Fall 5 in allen seinen drei Formen hinreichend beleuchtet Es hat sich somit klar ergeben, daß man zunächst einmal stets die „Ausgangsstellung“ herbeizuführen habe. So fange unser „Roman“ an. (Entspricht der „ersten Begegnung“ in Romanbüchern zwischen ihr und ihm.) Hernach aber wähle der Angreifer zwischen den Angriffsarten unter a, b oder c und damit sei ihm die weitere Entwicklung des erwähnten Schachromans getrost überlassen. Dies um so mehr, als wir ihm u. a. auch das allerschwierigste verraten haben, nämlich die Kunst, die Verbindung (zwischen Kf8 und Tg7) gegebenenfalls zu - lösen.

Zum Schluß noch zwei Schlußspiele und ein kleines Schema.

Diagramm 36 veranschaulicht die nach dem 50. Zuge von Weiß entstandende Stellung aus der Turnierpartie zu Wilna 1912.

Diagramm 36

In Diagrammstellung 37 folgte zunächst

Diagramm 37