1. Lieferung

Vorwort

Im allgemeinen bin ich durchaus kein Freund davon, ein Vorwort zu schreiben; aber in diesem Falle erscheint es notwendig, denn die ganze Sache ist so neuartig, daß ein Vorwort nur als ein willkommener Vermittler begrüßt werden dürfte.

Mein neues System ist nicht plötzlich entstanden, sondern langsam und allmählich, ich möchte sagen organisch emporgewachsen. Freilich, die Hauptidee, nämlich der Gedanke, die Elemente der Schachstrategie jedes einzeln für sich zu analysieren, dieser Gedanke beruht auf Eingebung. Indes wäre es natürlich keineswegs genügend, wenn ich über die offene Linie etwa sagen wollte: man solle eine solche besetzen und ausnützen, oder über den Freibauern: ein solcher sei zu stoppen. Nein, die Sache verlangt es, daß man ins Detail geht. Es dürfte beinahe komisch klingen, aber ich versichere Sie, meine lieben Leser, der Freibauer hat für mich eine Seele, genau wie der Mensch, Wünsche die unerkannt in ihm schlummern und Befürchtungen, von deren Existenz „er selbst kaum ahnt“. Ebenso geht es mir mit der Bauernkette und den anderen Elementen der Strategie. Über jedes dieser Elemente will ich Ihnen nun eine Reihe von Gesetzen und Regeln geben, die Sie anwenden können werden, Regeln, die ganz und gar ins Detail gehen und die dazu beitragen werden, Ihnen Klarheit zu geben selbst über die anscheinend geheimnisvollsten Verkettungen von Geschehnissen, wie sie gang und gäbe sind auf unsern so lieben 64 Feldern.

Der II. Teil des Buches bringt dann das Positionsspiel, insbesondere in dessen neuromantischer Form. Es wird vielfach behauptet, daß ich der Vater der neuromantischen Schule sei. Daher dürfte es nicht uninteressant erscheinen zu hören, was ich davon halte.

Man pflegt Lehrbücher in einem trockenen, lehrhaften Ton zu schreiben. Man glaubt, man würde sich etwas dadurch vergeben, wenn man einer humoristischen Wendung Einlaß gäbe, denn was hätte der Humor in einem Schachlehrbuch zu suchen! Diese Ansicht kann ich keineswegs teilen, ich gehe noch weiter, ich halte sie für ganz und gar unrichtig: der wahre Humor enthält oft mehr an innerer Wahrheit, als der ernsthafteste Ernst. Was nun mich betrifft, so bin ich ausgesprochener Anhänger der komisch wirkenden Parallelen, ich ziehe also die Ereignisse des täglichen Lebens gern vergleichsweise heran, um solchermaßen Klarheit über komplizierte Schachvorgänge zu gewinnen.

Ich habe an manchen Stellen ein Schema angebracht, um den gedanklichen Bau als solchen sichtbar hervortreten zu lassen. Dieser Schritt geschah sowohl aus pädagogischer Rücksichtnahme als auch aus Gründen – – persönlicher Sicherheit, denn sonst würden mittelmäßig begabte Kritiker – es gibt auch solche – nur einzelne Details, nicht aber das weitverzweigte Gefüge sehen wollen oder können, das doch den wirklichen Inhalt meines Buches bildet. Die einzelnen Sachen, namentlich aber in der ersten Lieferung, sind anscheinend so einfach, aber das ist ja gerade das Verdienst. Das Chaos auf eine bestimmte Anzahl von zu einander im Kausalitätsverhältnis befindlichen Regeln reduziert zu haben, das ist ja gerade das, worauf ich glaube stolz sein zu dürfen. Wie einfach lauten doch die 5 Spezialfälle in der 7. und 8. Reihe, aber wie schwer waren sie dem Chaos zu entlocken! Oder die offene Linie und gar die Bauernketten! Natürlich wird jede Lieferung schwieriger, da das Buch als fortschreitend gedacht ist. Aber diese zunehmende Schwierigkeit halte ich nicht etwa als Panzer vor, um mich vor Angriffen leichtkalibriger Kritiker zu schützen. Ich betone sie nur um meiner Leser willen. Man wird mich ferner angreifen, weil ich zum größten Teil von mir selbst gespielte Partien gebe. Auch dieser Angriff wird mich kaum umwerfen. Wie, ich wäre nicht dazu berechtigt, mein System durch meine Partien zu illustrieren?! Übrigens bringe ich sogar einige von Amateuren (gut) gespielte Partien, ich bin also gar nicht so.

Ich übergebe nun die erste Lieferung der Öffentlichkeit. Ich tue es mit gutem Gewissen. Mein Buch wird seine Mängel haben, unmöglich war es mir, in alle Ecken der Strategie hineinzuleuchten, aber ich bilde mir doch ein, das erste wirkliche Lehrbuch des Schachspiels, nicht bloß der Eröffnungen, geschrieben zu haben.

August 1925

Der Verfasser