4.2c Der dritte Grund

Die Lähmung, die durch eine vorgenommene Blockade hervorgerufen wird, ist durchaus nicht „lokaler“ Natur! Die Verpflanzung der Lähmungs-Erscheinungen nach dem Hinterlande. Über die Zwiespältigkeit des Bauern als solchen. Über die pessimistische Weltanschauung, und wie diese sich zur schwärzesten Melancholie verdichten kann.

In der Partie Leonhardt-Nimzowitsch hatte Lc5 den c-Bauern blockiert, dadurch wurde u.a. auch Lb7 zu einem Gefangenen im eigenen Lager. Diese Sachlage erscheint typisch, nur allzuhäufig wird ein ganzer Komplex von feindlichen Figuren in Mitleidenschaft gezogen. Größere Teile des Brettes können für ein flotteres Manövrieren unbrauchbar gemacht werden, ja mitunter kann die ganze feindliche Stellung ein unheimlich starres Gepräge erhalten: mit anderen Worten, die Lähmung hat sich vom blockierten Bauern weiter nach dem Hinterlande verpflanzt (siehe Diagramm 53 );

Diagramm 53

Verpflanzen der Blockade nach dem Hinterlande.

die Bauern e6 und d5 sind gründlich blockiert, die ganze schwarze Stellung hat infolgedessen ein unheimlich starres Gepräge, Läufer und Turm sind Gefangene im eigenen Lager und Weiß hat trotz materiellen Minderbesitzes geradezu Gewinnchancen.

Diese hier skizzierte Sachlage darf uns keineswegs überraschen: wir haben des öfteren darauf hingewiesen, daß jeder Bauer ein Sperrstein für die eigenen Figuren sei; ihn loszuwerden war nicht allzu selten geradezu ein Ziel, aufs innigste zu wünschen, beispielsweise bei geplanter Linienöffnung oder aber um einen Springerpunkt zu erhaschen (Abschnitt 2a, IV. Kapitel). Deshalb ist die Blockade nicht bloß für den blockierten Bauern allein, sondern vielmehr auch für dessen Kampfkameraden (Türme, Springer) genierend. A propos Bauer: Es ist für den Lernenden von Bedeutung, einer gewissen Zwiespältigkeit im Wesen des Bauern auf die Spur zu kommen; einerseits will der Bauer, wie oben gezeigt, Selbstmord begehen, andererseits klebt er zäh am Leben, denn das Vorhandensein von Bauern ist nicht nur für das Endspiel von größer Wichtigkeit, sondern hilft vielmehr auch, das sonst mögliche Einnisten feindlicher Offiziere, vulgo das Entstehen schwacher Punkte im eigenen Lager zu vermeiden. Der schmerzliche Eindruck, den ein beweglicher Bauer durch eine feindliche Blockade empfängt, läßt sich aber auch rein menschlich (psychologisch) erklären: der Bauer ist von pessimistischer Weltanschauung nicht frei zu nennen (Zwiespältigkeit des inneren Wesens). Darf es daher Wunder nehmen, daß genannter Pessimismus bei dem ersten größeren tragischen Konflikt sich zu „schwärzester“ Melancholie verdichtet? (Von der auch ein „weißer“ Bauer ergriffen sein kann!) Und daß ferner diese melancholische, „gedrückte“ Stimmung sich auf andere Truppenteile zu übertragen pflege? Wie dem auch sei, die Beweglichkeit eines (namentlich in der Mitte postierten) Freibauern bildet oft den Lebensnerv der ganzen Stellung, eine Lähmung desselben muß naturgemäß ihren Widerhall in der ganzen Stellung finden. Wie man sieht, sprechen also gewichtige Gründe für eine so bald als möglich vorzunehmende Blockade, während die Gründe, die dagegen zu sprechen scheinen, nämlich die anscheinend unökonomische Verwertung des zum Aufpasser (= Blockeur) angeblich degradierten Offiziers, bei näherem Zusehen nur in gewissen Fällen zu Recht bestehen bleiben. Um solches erkennen zu können, müssen wir uns dem Blockeur zuwenden.