4.4 Im Kampfe gegen den Blockeur
Die Entwurzelung. Das „changez les blockeurs“! Wie wir den „unzugänglichen“ Blockeur durch einen menschenfreundlicheren ersetzen!
Wenn wir sagten, daß der Blockeur seine Wirkungskraft aus der Verbindung mit dem Hinterlande schöpfe, so war dies eine unbestreitbare Wahrheit, immerhin kann und soll der Blockeur auch aus sich selbst heraus etwas zum Schutze des Blockadewalles beitragen. Dies erreicht er dadurch, daß er dank seinem Angriffsradius die Annäherung feindlicher Truppen (an ihn selbst) unterbindet. Ein weiterer Vorzug wäre – die geringe Herkunft; je geringer desto besser. Wir meinen, daß ein Blockeur ein dickes Fell haben müsse. Eine etwas übertriebene Empfindlichkeit, wie sie König oder Dame an den Tag legen, dürfte mit der Rolle eines Blockeurs schlecht übereinstimmen. Die kleine Figur (S oder L) kann auf Angriff stehen bleiben (sie braucht nur Deckung heranzurufen), während die Dame gegen den leisesten Angriff dadurch zu reagieren pflegt, daß sie „stolz erhobenen Hauptes“ das Lokal verläßt. Ein schlechter Blockeur wäre auch sonst der König, im Endspiel kommt ihm jedoch die königliche Begabung zustatten, Farbe wechseln zu können. Also, wenn er von einem schwarzfeldrigen Blockadepunkt vertrieben worden ist, kann er es versuchen, sich auf dem nächsten Etappenfelde, dem weißen Blockadepunkte festzusetzen. z.B. Weiß Bg5, Kg4, Ld1; Schwarz Kg6, Sa7.
Das Schach 1. Ld1-c2+ vertreibt den König von g6, aber nun blockiert er auf g7.
Da also die Blockeure, wie wir eben gesehen haben, von verschiedener Qualität sein können (starke und schwache, elastische und unelastische), so liegt es auf der Hand, je nach Bedarf den einen Blockeur durch einen anderen zu ersetzen. Wenn ich einen Blockeur schlage, so übernimmt der wiedernehmende Stein die Rolle des Blockeurs und damit wäre das „Changez les blockeurs“ ein fait accompli oder, um es auf gut deutsch zu sagen, der Ministerwechsel im feindlichen Lande wäre eine vollzogene Tatsache. Diese Kombination ist typisch. Siehe Diagramm 55.
Diagramm 55
Aus einer von mir gespielten Partie. Der Blockeur La8 wird durch schwarzen Ta8 ersetzt.
In der Diagrammstellung 56 würde Schwarz sonst sicher stehen, aber der König ist zu weit entfernt.
Diagramm 56
Changez les Blockeurs!
Die Idee ist folgende: Der Angreifer ist bereit, sich mit der gegnerischen Blockade-Gesellschaft auseinanderzusetzen, er wünscht aber vorerst mal den ihm aus irgend einem Grunde wenig sympathisch erscheinenden Wortführer der genannten Gesellschaft durch einen anderen Mann ersetzt zu sehen. Wenn das erst geschehen ist, dann mögen die Verhandlungen beginnen!
Die „Verhandlungen“ oder die Entwurzelung.
Wie wären die hier angedeuteten Verhandlungen zu führen? Nun, man konzentriere so viel Angriffe als möglich gegen besagten Blockeur, letzterer wird natürlich Reserven zum Schutze heranrufen (deckende Steine). In diesem um den Blockeur entbrannten Kampf suchen wir uns dann nach bekanntem Muster ein Übergewicht zu verschaffen, und zwar durch Dezimierung der Verteidiger, die wir abtauschen, verjagen oder anderweitig zu beschäftigen suchen. Schließlich muß der Blockeur retirieren und unser Bauer kann vorgehen. Eben skizziertes Übertragen der Angriffswut vom Steine selbst auf dessen deckende Offiziere ist übrigens ein bekanntes Stratagem, das wir schon gelegentlich der offenen Linie kennengelernt haben (siehe 2.4 Die möglichen Hindernisse auf dem Wege einer Operationslinie).
Im Endspiel pflegt man im Blockadefall die Stützen des Blockeurs zu verjagen, im Mittelspiel dagegen – sie zu beschäftigen. Ein sehr lehrreiches Exempel in diesem Sinne bietet meine Breslauer Partie gegen v. Gottschall, Juli 1925.