2.5 Die verschiedenen Formen, unter denen die Hemmung aufzutreten pflegt, werden näher beleuchtet

  1. Der Kampf gegen den beweglichen Mittelbauern.
  2. Die Hemmung einer qualitativen Mehrheit.
  3. Hemmung von Doppelkomplexen.
  4. Meine von Hemmungstendenz erfüllte Spezialvariante.

a) Der bewegliche Mittelbauer. Weiß Be4 gegen Bd6 und f7 resp. Bd4 gegen Be6 und c6.

Die schwarze Hemmung wird eingeleitet durch Spiel in der e-Linie, mittels Sf6, Le7, 0-0, Te8, Lf8. Ein anderes wichtiges Hilfsmittel zwecks Lähmung des weißen Zentrums ist die mehr passive Bauernaufstellung d6 und f6. Die Stellung: weißer Be4, schwarze Bauern d6 und f6 ist typisch, und nenne ich sie die „Sägestellung“, weil der Bauer e4 gleichsam gesägt werden soll zwischen d6 und f6.

  1. Die Reihenfolge der gegen das bewegliche Zentrum gerichteten Manöver ist für gewöhnlich:
  2. die passive Sägestellung, sodann
  3. die mehr aggressive Behinderung durch einen drückenden Turm,
  4. Rückständigmachung oder Isolierung des einst beweglichen Mittelbauern,
  5. mechanische Festlegung desselben durch einen blockierenden Offizier,
  6. Eroberung des Bauern.

Die Tendenz des hemmenden Partners ist durch die Losung: „Zuerst hemmen, dann blockieren und schließlich vernichten!“ zur Genüge gekennzeichnet. Die Durchführung ist schwierig, aber (auch im pädagogischen Sinne) lohnend.

Nachfolgend gebrachte illustrierende Partie ist in ihren Motiven nur scheinbar verwickelt, in Wirklichkeit ist es der Kampf gegen Be4, der das Feld beherrscht.

Der aufmerksame Leser sei noch auf meine Partien gegen Teichmann und Blackburne hingewiesen.

b) Der Kampf gegen die qualitative Mehrheit. Denken wir uns in der Diagrammstellung 153 den schwarzen Springer auf c5 statt auf f6 stehend, so hätten wir es mit einer typischen Hemmung einer qualitativen Mehrheit zu tun.

Man suche die aus passiver und aggressiver Wirkung zu gleichen Teilen zusammengesetzte Tätigkeit des schwarzen Randbauern zu begreifen, denn dieser Bauer bzw. Bh5 in der Diagrammstellung 157, ist eigentlicher Träger unserer ganzen Hemmungsaktion.

Diagramm 157

Die weiße qualitative Mehrheit erscheint gehemmt; 1. h3 wird durch 1. ... h4! 2. g4 Sg3 wirksam beantwortet.

Der Vorstoß h5-h4 (Diagramm 157) bzw. a5-a4 hat stets erst als Antwort auf h2-h3 bzw. a2-a3 zu erfolgen.

Einen anderen typischen Vorgang beleuchtet nachfolgend vorgeführtes Schlußspiel. Siehe Diagramm 158.

Diagramm 158

Diese hier demonstrierte Notverteidigung möge der Lernende beherzigen.

c) Hemmung von Doppelkomplexen. Neben der von uns bereits mehrfach betonten dynamischen Schwäche hatten wir noch folgende Punkte als ausschlaggebend zu bezeichnen:

  1. den eingesperrten Läufer,
  2. Terrainmangel und Deckungsschwierigkeiten.

Zu 1 geben wir die aus der Holländischen im Anzuge entstehende Stellung (Diagramm 159)

Diagramm 159

Der „tote“ Läufer c8! (Er ist ein Gefangener im eigenen Lager.)

und ferner die beiden Anfänge:

I.
II.

Zu 2 bringen wir die Diagramme 160 und 161.

Diagramm 160

Bei fehlendem Bc7 hätte Schwarz Bewegungsfreiheit, nun aber ist er - mit Rücksicht auf die Drohung Lb7 - halb patt.

Diagramm 161

Der einen feindlichen Doppelbauern blockierende Springer ist von furchtbarer Wirkung!

Das letztere zeigt uns den blockierenden Springer, dessen Wirkung im Falle Doppelbauer geradezu enorm ist; nicht nur ist die schwarze Mehrheit in ihrem Gesamtwert illusorisch, nein, auch jeder einzelne Komponent dieser Mehrheit erscheint jeder für sich lebensgefährlich bedroht. Unter diesen Umständen gewinnt die weiße Mehrheit, wie sie will. Auch bei beiderseits vorhandenen Türmen (Weiß Ta4, Schwarz Td8 oder b6) wäre die Situation für den Nachziehenden unhaltbar. Gesagtes läßt erkennen, in welchem Maße ein gehemmter Doppelbauer lähmend wirken kann!

d) Meine von Hemmungstendenz erfüllte Spezialvariante.

In „Kagans Neueste Schachnachrichten“, Jahrgang 1925, Seite 10, machte ich zu 4. c4 (nach 1. f4 c5 2. e4 Sc6 3. d3 g6) folgende Anmerkung:

„Da dieser Zug nicht etwa von der Hoffnung eingegeben ist, d7-d5 zu verhindern oder nur zu erschweren, so bedarf er einer besonderen Erklärung: Schwarz will den Aufbau e7-e6, d7-d5 durchsetzen. Nach getaner Arbeit wird er sodann daran denken können, die Angriffsformation am Damenflügel weiter auszubauen, nämlich durch gelegentliches Sd4, um nach erfolgtem Sxd4 c5xd4 auf Bc2 (in der c-Linie) zu drücken. Dieser möglichen Erweiterung des Spiels am Damenflügel wird durch den Textzug vorgebaut. Das Loch auf d4 scheint unwesentlich zu sein.“

Wenn ich mir heute die Frage vorlege, woher ich den moralischen Mut nahm (denn es gehört moralischer Mut dazu, einen der Tradition ganz zuwiderlaufenden Zug zu tun bzw. Plan zu entwerfen), so glaube ich sagen zu dürfen, daß es die intensive Beschäftigung mit dem Blockadeproblem war, die mir dazu verhalf. Diesem Problem suchte ich immer wieder neue und neuere Seiten abzugewinnen, und so kam es, daß ich in Dresden 1926 als Schwarzer, nach 1. e2-e4 c7-c5 2. Sg1-f3 Sb8-c6 3. Sb1-c3 , den Zug 3. ... e7-e5 riskierte, der damals ungeheueres Aufsehen erregte. Meine Spezialvariante 1. c2-c4 e7-e5 2. Sb1-c3 Sg8-f6 3. Sg1-f3 Sb8-c6 4. c2-c4 ist nur als weiterer Schritt auf dem einmal eingeschlagenen Wege aufzufassen. Übrigens hat auch der verdienstvolle Theoretiker Dr. O. H. Krause in Oringe/Dänemark, der möglichen Verquickung von e4 und c4 eine selbständige Untersuchung gewidmet, wobei er unabhängig von meinen Analysen zu teilweise ähnlichen Ergebnissen gekommen sein soll.

Nun schreiten wir zur Vorführung von Partien und verweisen den Schachfreund im übrigen noch auf meine Spezialuntersuchung „Die Blockade“.