Vorwort

Der moderne Meister kennt keine Geheimtuerei. Das Positionsspiel ist, wie jedes andere Gebiet der Kunst auch, auf Kunstgriffen aufgebaut, und diese Kunstgriffe lassen sich erlernen — dies ist der Sinn und die innere Existenzberechtigung dieses Buches.

Dieses letztere will also das Positionsspiel lehren: die in meinem Erstlingswerke bereits angedeuteten Stratageme werden hier liebevoll und eingehend beleuchtet (durch eingestreute Artikel) und dann an Hand von Partien illustriert. Und doch hat das Buch sich seine völlige Unabhängigkeit vom „System" zu wahren gewußt, denn nirgends wird eine wie immer geartete Kenntnis der Systemregeln vorausgesetzt; wo es notwendig erscheint, werden dieselben vielmehr — in aller Kürze — erläutert. Es fällt wahrlich gar nicht so schwer, sich der „Prophylaxe", „Überdeckung" usw. zu bedienen, man muß die Sachen nur erst mal kennen lernen!

Auch als Partiensammlung hat dies Buch seinen Wert; es bringt, wenn wir von den bereits im System und der Blockade veröffentlichten und daher hier fehlenden Spielen absehen wollen, 109 meiner besten Partien.

Noch einige Worte über die äußere Form des Buches. Wir haben es an Selbstlob fehlen lassen. Wir sind nämlich zu der Ansicht gelangt, daß diese aus der pseudoklassischen Zeit stammende und auch heute noch recht populäre „Variante" ebensowenig spielbar sei wie etwa 3. c7—c5 und andere (damals in allen Tonarten gepriesene) Varianten mehr. Selbstlob ist nur in einem einzigen Falle „spielbar", nämlich dann, wenn die verdiente Anerkennung unrechtmäßig vorenthalten blieb; in allen anderen Fällen wirkt Selbstlob aber geschmacklos und demoralisierend.

An Registern habe ich diesmal nicht gespart. Außer einem detaillierten Inhaltsverzeichnis bringen wir noch ein Partien- und Eröffnungsregister. Und da wir ferner bei der Einteilung des Stoffes nur die mehr umfassenden Stratageme, wie Zentralisierung, Hemmung usw., nicht aber die „Kleinstratageme", wie „offene Linie", „7. Reihe" usw. berücksichtigen konnten, so hielten wir es für opportun, ein Register der in den Partien zur Anwendung gelangten Kleinkriegsmanöver zu bringen. Daß letzteres nicht erschöpfend werden konnte, dürfte ohne weiteres einleuchten; immerhin wird dem Schachfreunde, der es wünscht, so die Möglichkeit geboten, die ihn interessierenden „Elemente" (Linie, Freibauer usw.) näher zu studieren.

Zum Schluß noch eins. Ich hätte es gern gesehen, wenn wir zwecks Erleichterung des Nachspielens der nicht selten recht verzweigten Varianten jede Partie mit vier bis fünf Diagrammen hätten versehen können. Aber dickleibige Kompendien sind heute nicht mehr modern (schlank ist die Parole). Indes es gibt ein ebenso einfaches wie probates Mittel, das wir jedem Schachfreunde bestens empfehlen können: man bediene sich beim Nachspielen einer Partie zweier Schachspiele zugleich (bzw. eines Spiels und eines Steckschachs), auf dem einen wird der Text, auf dem anderen aber die Analyse nachgezogen. Dies ist viel einfacher, als man glaubt; die Mühe ist gering, und die oft recht interessanten Varianten gehen einem so nicht mehr verloren.

August 1928

Der Verfasser [Aaron Nimzowitsch]