2.4 Die möglichen Hindernisse auf dem Wege einer Operationslinie

Der Granitblock und dessen Unterminierung. Der Begriff des „gedeckten“ und der des ungedeckten Hindernisses (=Bauern). Die 2 Arten der Angriffsführung gegen den im Wege stehenden feindlichen Bauern. Der evolutionäre und der revolutionäre Angriff.

Wir haben gesehen, wie groß die Bedeutung des einmal erkämpften freien Zutritts zur 7. und 8. Reihe werden kann. Wenn dem so sei, so liegt die Annahme nahe, daß die Natur selbst, so zu sagen, etwas zum Schutze dieser empfindlichen Stelle getan haben mag, ähnlich wie genannte gütige und weise Allmutter-Natur dem Menschenherz einen glänzend „gedeckten“ Platz hinter Rippen tief im Brustkasten angewiesen hat. (So gut gedeckt ist dieser Platz, so tief verborgen das Versteck des Herzens, daß man bei manchen Leuten auf den Gedanken kommen könnte, sie seien ... herzlos zur Welt gekommen. Um die gefühlvolleren unter meinen freundlichen Lesern gleich zu beruhigen, will ich übrigens gleichzeitig mitteilen, daß Herzlosigkeit ein minderes Herzübel darstelle, worunter die Betreffenden fast garnicht litten. – Die charakteristische natürliche Schutzstellung ersehe man aus dem Diagramm 18.

Diagramm 18

Bc6, gedeckt von b7, ist das „gedeckte“ Hindernis (links)

g6 ist das „ungedeckte“ Hindernis (rechts)

Hier hindert Bg6 den Anziehenden daran, in die 7. Reihe einzudringen. Der Weg zur 7. oder 8. Reihe geht nur über meine Leiche, scheint uns dieser Bauersmann zuzurufen. –

Ist der genannte feindliche Bauer gar durch einen Bauern gedeckt, so wäre es vollkommen zwecklos, gegen solchen Gesamtblock anrennen zu wollen, etwa durch Triplierung in der ganzen Linie. Vielmehr wäre es ein Gebot der Klugheit, vorerst mal den g-Bauern zu unterminieren, etwa durch h2-h4-h5 nebst h5xg6. Nach h7xg6 ist dann der Gesamtblock zu einem schutzbedürftigen Bäuerlein zusammengeschrumpft. Im Diagramm 18 links würde b4-b5xc6 unterminierend wirken.

Wie schon früher betont, erkennen wir den Bauern als einen sicheren Verteidiger an. Die Deckung durch Figuren ist beinahe ein Mißverständnis zu nennen, solid und dauerhaft und ohne Murren deckt einzig und allein der Bauer. Daher bedeutet „gedeckter Bauer“: einen durch einen Kollegen gedeckten Bauern! –

Ist unser g-Bauer aus dem „Bauernverband“ gelockt, so wird er von vielen Figuren angegriffen.

Die auf der Hand liegende Idee ist dann die, den Bauern durch Anhäufung von Angriffen zu erobern, erstensmal um des materiellen Gewinnes willen, zweitens aber um den Widerstand in der Linie zu brechen. Technisch wird dieses so gehandhabt, daß wir zunächst unsere Offiziere in Angriffsstellung bringen. Um den Bauern entbrennt dann ein heißer Kampf. Schwarz deckt so oft als wir angreifen und nun suchen wir das Übergewicht zu erlangen durch Dezimierung der Verteidiger, erreichbar durch

  1. Vertreiben,
  2. Abtausch,
  3. absperren einer verteidigen Figur.

Also Übertragung der Angriffswut vom Gegner selbst auf dessen Verteidiger, ein ganz normaler Vorgang, schon in der Schule geübt und gepflegt (gemeint sind Raufhändel, natürlich). Folgendes Schlußspiel (Diagramm 19) veranschauliche diesen Vorgang.

Diagramm 19

Oder Stellung Tf1 f2 Sd4, schwarzer hindernder Bauer auf f6, gedeckt von Kg7 und Ld8. Ein schwarzer Turm auf a8 

1. Sd4-e6+ K beliebig 2. Se6xd8 Ta8×d8 3. Tf2xf6  = Dezimieren der Verteidiger durch Abtausch. Was wir bisher dem hindernden Stein angetan haben, gehört unter den Begriff Evolutionär-Angriff, die ganze Art, sich gegen einen Punkt zu konzentrieren, um dort schließlich ein Übergewicht zu erlangen, deutet darauf hin. Auch das Ziel ist symptomatisch, nämlich, teils war es materieller Gewinn (wir waren bestrebt einen Bauern zu profitieren) der uns lockte, teils war es das Ideal, das uns vorschwebte, nämlich das Ideal der Eroberung der 7. Reihe. Also diese Mischung war bezeichnend. Ein ganz anderes Bild zeigt der Vorgang zum Diagramm 20 (nur die wichtigsten Akteure sind notiert).

Diagramm 20

Durchbruch auf h7
(der revolutionäre Angriff)

Angenommen das Spiel in der h-Linie durch 1. Tah1 sei zwecklos entweder wegen 1. ... Sf6 oder aber wegen 1. ... h6 mit Gesamtblock in der h-Linie. Wie sollte dann Weiß die h-Linie anders ausnutzen können? Antwort: indem er davon Abstand nimmt, den h-Bauern zu profitieren, sondern vielmehr alles tut und selbst vor schweren Opfern nicht zurückscheut, um ihn gewaltsam aus dem Wege zu schaffen, also 1. Th2xh7+ Kh8xh7 2. Ta1-h1 matt. So einfach dieses Schlußspiel sein mag, so scheint es mir von größter Bedeutung zu sein, sich über den prinzipiellen Unterschied zwischen der evolutionären und revolutionären Angriffsart völlige Klarheit zu verschaffen.

Wir wollen daher noch ein Beispiel geben (s. Diagramm 21).

Diagramm 21

Wie verläuft hier der „evolutionäre“ und wie der „revolutionäre“ Angriff?

Der evolutionäre Angriff würde nach 1. Tah1 Sf8 2. Le7 (Dezimierung der Verteidiger durch Abtausch) zum Gewinn des Kampfobjektes führen. Der revolutionäre Angriff würde dagegen auf Eroberung des Bauern h7 Verzicht leisten, wie folgt: 1. Th6xh7 Kg8xh7 (keine Rede von Eroberung des Bauern h7, denn Weiß hat da einen Turm für ihn hergegeben) 2. Ta1-h1+ Kh7-g8 3. Th1-h8 matt. Die Idee des revolutionären Angriffs besteht wie hier deutlich ersichtlich in der gewaltsamen Öffnung des gesperrt gewesenen Zutritts zur 7. bzw. 8. Reihe. Der eine Turm opfert sich hier für seinen Kollegen, damit dieser h8 betrete; ja auf den 64 Feldern, da gibt es noch Kameradschaft ...

In welcher chronologischen Reihenfolge sind die beiden erwähnten Angriffsarten anzuwenden? Antwort: zuerst versuchte man den konzentrischen Angriff, also man greife den hindernden Bauern mehrmals an, solchermaßen wird man Gelegenheit finden, die verteidigenden Figuren in unbequeme Stellungen zu drängen, sie werden einander im Wege stehen (erklärlich durch den im Lager des Angegriffenen häufig vorkommenden Terrainmangel. Nachher denke man aber u.a. auch an die Möglichkeit des gewaltsamen Durchbruchs vulgo an die revolutionäre Angriffsart.