6.5 Asymmetrische Behandlung von Symmetrievarianten

Partien 92 - 94

Die Pseudoklassiker hatten nicht nur eine heute unbegreiflich erscheinende Vorliebe für Symmetrievarianten, nein, sie wußten auch, dieser wenig erfreulichen Angelegenheit ein wissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen. Sie ließen nämlich durchblicken, daß viele Stellungen bzw. Eröffnungen zur Symmetrie tendierten, daß es also ein Opfer des Intellekts wäre, dieser gottgewollten Symmetrie auszuweichen und daß alle diesbezüglichen Versuche inkorrekt seien und bei richtigem Gegenspiel zum Verlust führen müßten. — Wir wollen an der Hand eines Beispiels die Sache einmal näher betrachten.

Also schon bei flüchtiger Betrachtung gewinnt man den Eindruck, daß jede Schachpartie voller Probleme ist, denen aber das Symmetrie-Schach ängstlich und ideenarm aus dem Wege gehen möchte! In diesem Eindruck wird man noch bestärkt, wenn man vergleichsweise weitere Symmetrievarianten heranzieht. In der Französischen Abtauschvariante können die Königsspringer nach 1. e4 e6 2. d4 d5 3. ed ed 4. Ld3 Ld6 entweder zentral oder „diversionistisch“ entwickelt werden. Die erstere Entwicklungsmöglichkeit bestände in Sf3 bzw. Sf6, die zweite — in Se2 bzw. Se7. Zur diversionistischen Entwicklung (Se2 bzw. Se7) wäre erläuternd nachzutragen, daß sie Hand in Hand mit einer gleichzeitig durchzuführenden Zentraldefensive zu gehen hat (der Einbruchspunkt e4 bzw. e5 soll etwa durch f3 bzw. f6 verteidigt werden), sonst wäre sie ein strategischer Nonsens. (Diversionen am Flügel, vorgenommen ohne genügende eigene Zentralsicherung, sind in diesem Buche zu wiederholten Malen ad absurdum geführt worden.) — Aus Gesagtem ergibt sich nun mit zwingender Logik (obzwar viele Schachfreunde diesen „Zwang“ abzuschütteln geneigt sind), da!5 die Entwicklung „Sf3“ durch „Se7“ und umgekehrt „Se2“ durch „Sf6“ beantwortet werden muß! Diese von Svenonius befürwortete asymmetrische Behandlung ist der symmetrischen an strategischem Logos weit überlegen.

Man beachte nun, wie übersichtlich der eben angedeutete Gegensatz der Kampfmotive zum Ausdruck gelangt: Im Jahre 1925 spielte Verfasser in Aalesund im Simultankampf folgende Partie. Weiß: Strande:

In dieser Partie hat Schwarz den Punkt e5 indirekt verteidigt, indem er das Einnisten durch Se5 zwar zuließ, es aber in seiner Wirkung abzuschwächen wußte. Man kann das Einnisten, wie gesagt, auch direkt verhindern (durch f6). — Wir schreiten nun zur Vorführung von Partien und wollen resümierend bemerken, daß wir davon überzeugt sind, daß die Sucht, sich symmetrisch zu entwickeln, lediglich als testimonium paupertatis einer an Ideenarmut reichen Zeit gewertet zu werden verdient.

Die nun folgenden zwei Partien sind der Verquickung von Flügelangriff und Zentraldefensive gewidmet.