4. Der isolierte Damenbauer, die zwei Hängebauern
Die zwei Läufer
Partien 61 - 70
Betrachten wir folgendes Skelett: Weiß: Ba2, b2, d4, 12, g2, h2; Schwarz; Ba7, b7, e6, f7, g7, h7.
Der isolierte Bauer d4 ist trotz statischer Schwäche von einer gewissen dynamischen Kraft erfüllt. Es ist nun vonnöten, die „Statik“ von der „Dynamik“ haarscharf abzugrenzen, denn nur so dürfte ein Begreifen möglich werden. — Die statische Schwäche manifestiert sich im Endspiel, und zwar durch zweierlei: erstens erweist sich Bd4 als schutzbedürftig, zweitens aber treten „benachbarte Felderschwächen“ in die Erscheinung (zum Beispiel sucht der schwarze König über d5 nach c4 bzw. e4 einzudringen). Auf Konto der dynamischen Kraft wäre neben der Expansionslust (d4—d5!) auch folgender Spielplan zu setzen: Weiß läßt seinen Isolani zwar unbeweglich sein, besetzt aber die durch Bd4 geschaffenen dynamisch äußerst wertvollen Punkte e5 oder c5.
Es gibt Waffen, die noch vor 20 Jahren den Schrecken aller Kriegführenden gebildet haben, und doch wirken sie heute schon als harmloses Spielzeug. Die Abwehrtechnik hat eben Fortschritte gemacht. Die „dynamische Kraft des isolierten Damenbauern“ ist uns heute zu einem solchen Spielzeug geworden, und wir finden es nur schwer begreiflich, wie jemand sich durch eine solche Waffe in die Flucht schlagen lassen konnte. Die Unschädlichkeit der besagten Dynamik sei nun an folgenden Spielanfängen demonstriert.
I. Weiß: Erich Cohn (Karlsbad 1911):
II. Schwarz: Gemsöe (Kopenhagen 1922):
Wir schreiten nun zur Untersuchung der nächsten auf der Tagesordnung stehenden Waffengattung, nämlich der zwei Hängebauern (Weiß: Ba2, b2, e3, f2, g2, h2; Schwarz: Ba7, c5, d5, f7, g7, h7).
Diese Waffe erscheint (im Gegensatz zum Isolani) keineswegs veraltet. Nur muß man sich davor hüten, den dynamischen Wert derselben allzu grell hervortreten zu lassen; gar manche Turnierpartie ist durch allzu heftiges Vorgehen (= d5—d4 mit Durchbruchsgelüsten) in die Brüche gegangen. Ebenso verfehlt wäre es allerdings, auf jede Initiative zugunsten einer statt dessen anzustrebenden Sicherstellung zu verzichten; wir meinen die Spielweise c5—c4, wonach die Hängebauern d5 und c4 zwar gedeckt erscheinen, an Durchschlagskraft aber fast alles eingebüßt haben. (Ich nenne dies: sich in blockierte „Sicherheit“ begeben.) Die Wahrheit liegt hier wohl in einer Verquickung der „Dynamik“ und „Statik“: die blockierte Sicherheit, mit einem Schuß von Initiative (zum Beispiel Spiel gegen Bb2, siehe Partie Nr. 65), das dürfte die rechte Strategie sein! Man vergleiche übrigens meine Ausführungen hierzu in meinem Buche „Mein System“. Die große „Säuglingssterblichkeit“ der Hängebauern darf uns nicht zu übereilten — etwas skeptischen — Urteilen verführen. Dieses eben angedeutete große Sterblichkeitsprozent läßt sich nämlich bei einiger Vorsicht stark herabdrücken; man sehe zum Beispiel meinen Göteborger Unglücksfall (Weiß: Rubinstein):