2.2 Die bekanntesten Doppelbauernkomplexe passieren Revue (abgekürzt „Doppelkomplexe“). Der Doppelkomplex als Angriffsinstrument.

a) Weiß Be4, d3, a2, c2, c3 (oder c3, c4), Schwarz Be5, d6, c7, b7, a7, siehe Diagramm 144.

Die stärkste Formation für Weiß ist die nach d3-d4 erreichte; letztere ist so lange als möglich beizubehalten. Nach geschehenem d4-d5 dagegen dürfte die weiße Schwäche fühlbar geworden sein. Daraus ergibt sich für Schwarz die strategische Notwendigkeit, d4-d5 zu erzwingen. Womöglich ohne Zuhilfenahme von c7-c5. Denn nach c5? d5 würde die Möglichkeit des Befragens (mittels c7-c6) fehlen, desgleichen auch die Chance, Punkt c5 durch einen Springer zu besetzen.

In der Diagrammstellung 144 begehen (mit Schwarz) viele Schachfreunde den Fehler, sogleich mittels d6-d5 „loszulegen“. Dies widerspricht unserer Hauptregel (siehe oben), wonach der feindliche Doppelkomplex zunächst einmal zu einer Aktion anzutreiben ist; hierdurch und nur hierdurch ließe sich die aktive (dynamische) Schwäche des gegebenenDoppelkomplexes ausnützen. -

Die nachfolgend gebrachten Exempel sollen nun dazu dienen, den Kampf zwischen dem im „Verharren“ begriffenen Verteidiger und dem zur „Entscheidung“ drängenden Gegenspieler zu beleuchten. Zunächst zeigen wir an einem Beispiel, wie der Verteidiger durch einen einzigen unbedachten Zug alle Trümpfe aus der Hand geben kann.

Viel schwerkalibriger gestaltete sich der oben skizzierte Kampf in nachfolgendem Beispiel:

Diagramm 146

Da es, wie wir gesehen haben, häufig sehr schwierig ist, den in der Froschstellung „verharrenden“ Gegner zu einer Aktion in unserem Sinne zu bewegen, so liegt es nahe, den feindlichen Doppelkomplex nur in dem Falle herbeizuführen, wenn das Herausdrängen aus der erwähnten Froschstellung als erreichbar anzunehmen ist. In diesem Sinne ist folgender Anfang äußerst lehrreich.

Diagramm 147

Die Partie folgt, ausführlich glossiert, am Schluß dieses Kapitels.

Der „verharrende“ Partner hat damit zu rechnen, daß die Beweglichkeit seines Bauernkomplexes eine sehr begrenzte ist, diesem Umstände hat er auch die Figurenzüge anzupassen, die klein und fein, nach beiden Seiten hin zielend sein müssen; wie wir dies meinen, geht aus folgendem Beispiel hervor.

Wir haben den Doppelbauernkomplex soeben einer in die Tiefe dringenden Analyse unterzogen; im Lichte dieser Analyse gesehen, gewinnen alltäglich scheinende Vorgänge ein neues Gesicht:

Diagramm 148

Wir schreiten nun zur Vorführung des nächsten Doppelkomplexes.

b) Weiß: Be4, a2, b2, c2, f2, g2, h2 gegen Schwarz a7, c7, c6, d6, f7, g7, h7 oder Weiß Bd4 statt Be4, Schwarz Ba7, b7, c7, e6, f7, f6, h7 (siehe Diagramm 149 und 149a).

Diagramm 149
Diagramm 149a

Der Sinn dieser Bauernkonfiguration liegt darin, daß Schwarz in Bc6 bzw. Bf6 einen Ersatz für das verlorengegangene Zentrum zu erblicken hat, denn Bc6 bzw. Bf6 wirken nach dem Zentrum hin. Diese Einwirkung auf das Zentrum äußert sich darin, daß (im Falle 149a) der weiße Vorpostenpunkt e5 für den Anziehenden nicht zu realisieren ist. Zweitens droht e6-e5 und drittens kann f6-f5 geschehen nebst Tg8 (g2-g3) h7-h5 f5-f4 und h5-h4. Mit anderen Worten: die zunächst defensiv wirkende Masse e6, f7, f6 kann sich öffnen (wie eine Faust) und zum Angriff vorgeschickt werden. Die Schwäche liegt im isolierten Bh7. Der eben angedeuteten Angriffsdiversion Tg8, f5, h5 etc. sucht Weiß durch Postierung der Bauern auf f4, g3, h2 nebst etwaigem Sf3 und Sg2 entgegenzuwirken. Das Spiel steht dann gleich. Äußerst schwierig ist es aber für Schwarz, den passenden Moment zu wählen, um mittels f6-f5 aus der Defensive herauszutreten. Wir bringen folgende Beispiele:

Diagramm 150

Hier hat Perlis, der ein sehr feiner Kenner war, den Doppelkomplex sowohl defensiv als auch aggressiv trefflich verwertet.

Weniger überzeugend ging es in der Partie Yates-Dr. Olland, Scheveningen 1913, zu.

In eben vorgeführter Partie kam der schwarze Doppelkomplex als Angriffsinstrument nicht zur Geltung. Ganz anders in nachfolgendem Spiel, wobei es sich allerdings um den Komplex c7, c6, d6 gegen e4, c2 (Diagramm 149, nicht 149a) handelt; wir betrachten nämlich die Skelette in 149 und 149a als in ihren Lebensbedingungen völlig identisch.

Der Doppelkomplex im Diagramm 149 als Angriffsinstrument

Diagramm 150a

Unser Eindruck ist der: c6-c5 gibt Punkt d5 frei, ist also als etwas zweischneidig zu betrachten. Sind aber die Vorbedingungen erfüllt, nämlich ist Be4 einigermaßen gehemmt, und sind gegen allfälliges Sd5 wirksame Paraden aufgestellt worden, dann mag der Vorstoß berechtigt sein. Den in dieser Partie gewählten Gegenaufbau: Weiß Bc4, b3, a2 nebst Sb2 und Sc3 betrachten wir als gediegen, glauben aber, daß die relative Größe des anzuwendenden Figurenapparates eine Gewinnführung für Weiß unmöglich macht; die so gespielten Partien, z.B. im Match Lasker-Schlechter, führten in der Tat stets zu einem Remis.

Für schlecht halten wir dagegen die Entwicklung d6-d5, denn dies vermag bösen Hemmungen Vorschub zu leisten. Sehr lehrreich ist in diesem Sinne die Partie Billecard-Dr. Bernstein, Ostende 1907.

Der sich für tiefere logische Zusammenhänge interessierende Lernende wird sich nun sagen: „Wie leicht dürfte der Komplex c7, c6, d5 doch zu blockieren sein! Denn es gelang dem Schwarzen, die Bauern zu entdoppeln, dazu machte Weiß noch einen eklatanten Fehler (18. axb3? statt 18. cxb3!) und doch blieb die Beweglichkeit von c6 und d5 nach wie vor äußerst gering!“ Die Rechnung stimmt in der Tat, c7, c6, d5 neigen in hohem Grade dazu, an Blockade-Erscheinungen zu erkranken, mit anderen Worten, die von uns im Anfang dieses Kapitels betonte „Wahlverwandtschaft“ zwischen Doppelbauer und Hemmung ist schon jetzt als recht wahrscheinlich anzunehmen. Man vergleiche übrigens noch unsere Partie auf Seite 4.2a Der erste Grund. Im weiteren Verlaufe dürfte sich diese Wahrscheinlichkeit zur Gewißheit verdichten.