6.4 Das kleine aber feste Zentrum

Partien 89 - 91

Wie wir wissen, berechtigt der Besitz eines festen, wenn auch eingeschränkten Zentrums zur Einleitung von Flügelangriffen, wobei die letzteren sich gewissermaßen auf die erwähnte Zentralfestigkeit stützen. In den Nr. 85 und 86 war die geographische Entfernung zwischen Zentrum und Flügelangriff eine beträchtliche; auch logisch standen beide Aktionen auf eigenen Füßen. Anders liegt die Sache dagegen in den heute recht beliebten Paulsen-Stellungen, wie sie beispielsweise in Sämischs Partien häufig vorkommen: der Flügelangriff soll hier nur zur Freimachung des eigenen, etwas eingeklemmt wirkenden Zentrums dienen, ist also als Hilfsaktion gedacht. Auch geographisch ist der Abstand zwischen Zentrum und Flügelspiel ein nur geringer. Es ist für den Lernenden von Bedeutung, die hier angedeutete Strategie zu studieren. Die beiden Haupterfordernisse eines guten Paulsen-Spielers bestehen in: a) Prophylaxe, b) Manövrierkunst in der inneren Linie. — In folgenden Partieanfängen finden wir beides.

I. Weiß: Dr. Vidmar, Semmering 1926.

II. Weiß: Rubinstein, Schwarz: Sämisch, Berlin 1926.

Nach alledem ist es evident, daß das „kleine Zentrum“ zum hypermodernen Repertoire gehört. Die Pseudoklassiker, die für ihre (übrigens nicht gerade originell wirkenden) Manöver sehr viel Terrain benötigten, wären natürlich glatt erstickt. Oder aber sie wären nicht in der Lage gewesen, gegnerische Durchbrüche auf die Dauer zu verhindern, denn dazu hätte die zu jener Zeit vorhandene „Präventivtechnik“ nicht ausgereicht.

Wir haben während unserer 20jährigen schachpädagogischen Wirksamkeit die Erfahrung gemacht, daß das Studium einschlägiger Partien (also mit kleinem Zentrum) eine heilsame Aversion gegen den in weitesten Schachkreisen leider so beliebten „lockeren Aufbau“ zu erzeugen pflegte. Diese heilsame Wirkung haben wir gelegentlich auch an uns selbst erprobt, zum Beispiel nach absolvierten Simultan-Tournees, die ja, wie bekannt, für den Turnierstil nicht gerade fördernd sind. Wir geben nun zwei Partien zum „kleinen Zentrum“ und eine Partie zum „lockeren Aufbau“.