4.3 Der Blockeur im Haupt- und Nebenberuf

Wie er sich gebärdet, wenn er wettert und droht und wie, wenn er sich auf einer Urlaubsreise befindet. Der Begriff der Elastizität. Verschiedene Formen derselben. Der starke und der schwache Blockeur. Wie der Blockeur den mannigfaltigen Anforderungen gerecht wird, zum Teil ohne Antrieb, und weshalb ich darin einen Beweis für die Vitalität des Blockeurs erblicke. Die „angeblich unökonomische Verwendung des zum Aufpasser degradierten Offiziers“ erweist sich als eine unhaltbare Auffassung.

Der Hauptberuf des Blockeurs besteht augenscheinlich in einem fachgemäßen Blockieren des betreffenden Bauern. In diesem Sinne tendiert er selbst zur Unbeweglichkeit. Und trotzdem (welch eine Lebenskraft!) legt er nicht selten eine beträchtliche Aktivität an den Tag. Nämlich:

  1. Drohwirkung vom Standfeld aus (siehe Partie Leonhardt-Nimzowitsch. Der Se6 hatte g5 vorbereitet.)
  2. Eine gewisse Elastizität, die sich darin äußert, daß der Blockeur gegebenenfalls doch seinen Platz verläßt. Zu solcher Urlaubsreise erscheint er berechtigt:
    1. falls die Reise vielversprechend ist, die Verbindungen
    2. falls er doch noch rechtzeitig zurückkehren kann, um den mittlerweile vorgerückten Bauern auf einem anderen Felde zu blockieren,
    3. im Falle er einen Stellvertreter zurückzulassen in der Lage ist, der das Blockieren besorgt. Es ist einleuchtend, daß dieser Stellvertreter unter den sekundierenden (deckenden) Steinen des Blockeurs zu wählen ist.

Letzterer Umstand ist bei aller Unscheinbarkeit von großer Tragweite; zeigt er doch deutlich, wie sehr die Elastizität (wenigstens in der Form unter c) vom geringeren oder stärkeren Grad der Blockadewirkung direkt abhängig ist.

Sub a, siehe Nimzowitsch-Nilsson.

Sub b, Stellung:

In dieser (einfachsten) Stellung unternimmt der Blockeur nun eine kleine Ferienreise 1. Th4×b4 . Selbstredend benutzt der Freibauer die Gelegenheit, um vorzurücken: 1…h5-h4 2. Tb4-b2 h4-h3 3. Tb2-h2 . Der Herr „Turm“ erscheint im Kontor, verbeugt sich vor dem Chef, begrüßt seine Kollegen und nimmt mit einer Miene, als ob er frisch gestärkt und ausgeruht sei (während er doch in Wirklichkeit sich furchtbar abhetzen mußte, um noch zur rechten Zeit erscheinen zu können) Platz am Blockade-Pult. Der Blockeur hat übrigens seinen Platz gewechselt, h2 statt h4. Dieses hier gezeigte Manöver ließe sich an vielen Beispielen wiederholen.

Sub c. Siehe den Lf4 in der Partie Nimzowitsch-Freymann.

Aus obigem kleinen Schema (a, b, c) ist zu ersehen, daß die Elastizität gering ist, wenn der zu blockierende Bauer weit vorgedrungen ist. Das Maximum an Elastizität entfaltet dagegen ein Blockeur, der einen in der Mitte des Brettes befindlichen halben Freibauer zu blockieren hat (z.B. Weiß Be3, f2, Sd4; Schwarz Bd5, Lb7). Der Blockeur d4 ist hier sehr elastisch, er darf lange Reisen von d4 aus nach allen Windrichtungen reine Blockadewirkung als solche analysieren.

Die Blockade-Wirkung

Die Kraft zu blockieren soll systematisch und bewußt entwickelt werden, im Gegensatz zur Elastizität, die sich häufig von selbst ergibt. Die Blockadewirkung wird erhöht: durch Heranziehen von Hilfstruppen, die aber auch ihrerseits sicher plaziert sein müssen. Vergl. die Diagramme 54 und 54a miteinander.

Diagramm 54

Schwarz zieht. Ist Tc6 ein starker Blockeur?

Dagegen kann der Läufer im Diagramm 54a nach f3 gehen, wo er sicher und unvertreibbar stände.

Diagramm 54a

Schwarz zieht.
Kann der Blockeur sich behaupten?

Der Tc6 gewinnt so an Bedeutung und ein Remisschluß erscheint unausbleiblich. Wir haben einen ähnlichen Sachverhalt beim Studium des Vorpostens konstatiert. Auch der Blockeur schöpft seine Kraft nicht aus sich selbst heraus, sondern vielmehr aus der strategischen Verbindung mit dem Hinterlande. Ein nur wenig oder mangelhaft gedeckter Blockeur wird den scharf nachdrängenden feindlichen Figuren nicht standhalten können, er wird in die Flucht geschlagen oder vernichtet werden, worauf der vormals blockiert gewesene Bauer seinen Vormarsch fortsetzt. Hier gilt für den Verteidiger in ganz besonderem Maße die im II. Teil des Buches zu behandelnde Regel von einer Überdeckung des strategischen Punktes. Das Blockadefeld ist zumeist ein strategisch wichtiger Punkt, diesen öfter zu decken als unbedingt erforderlich, ist ein Gebot der Klugheit. (Also nicht erst die Anhäufung von Angriffen abwarten, sondern vielmehr „auf Vorrat decken“, etwa wie man vor einem Balle auf Vorrat zu schlafen pflegt.)

Es hat sich also eine merkwürdige Konstellation ergeben: während die Blockadewirkung nur mühsam unter Heranziehen von Hilfstruppen erhöht bzw. bewahrt werden kann, erwiesen sich die anderen Nebenvorzüge des Blockeurs wie Elastizität und Drohwirkung vom Standfeld aus als recht lebenskräftig, d.h. sie kamen ohne besondere Kraftanstrengung zur Entfaltung (gediehen wie die Distel auf steinigem Boden). Dieses ist erklärlich

  1. durch den unter c gezeigten Tatbestand, wonach der „deckende“ Offizier den verreisten Blockeur zu ersetzen vermag,
  2. dadurch, daß das Blockadefeld, wie unter 2b auseinandergesetzt, zum schwachen Punkt für den Gegner tendiere.

Die Berührung mit dem strategisch wichtigen Felde muß nach meinem System wundertätig wirken. Wird unter Positionsspiel näher behandelt; der Lernende möge aber jetzt schon vergleichen und kontrollieren, z.B. an den 5. Spezialfall in der 7. Reihe unter c denken, in Verbindung mit der Legende vom Svjatogor.

Als Resumé geben wir nun folgenden Grundsatz:

Selbstredend sollen – schon bei der Wahl des Blockeurs – die Elastizität und Drohwirkung berücksichtigt werden, und doch genügt es nicht selten, die Blockadewirkuug als solche zu verstärken; die Elastizität und Drohwirkung ergeben sich dann häufig von selbst.

Den hier skizzierten Sachverhalt halten wir für außerordentlich bezeichnend. Es muß nunmehr einleuchten, daß der Offizier sich nichts vergibt, wenn er der an ihn ergehenden Einladung zu blockieren Folge leistet, denn der Blockadeplatz erweist sich als ein durchaus ehrenvoller Platz, sicher und doch voller Initiative.

Der Lernende möge an der Hand einiger Meister- oder selbstgespielter Partien die Richtigkeit der von uns hier gemachten Beobachtung gründlich nachprüfen. Er vergleiche die Blockeure miteinander, deren Vorzüge, deren Schicksal und wie sie zu Fall kamen oder reüssierten und er wird aus der gründlichen Bekanntschaft mit dem einen „Akteur“ mehr Vorteil haben, als aus einer oberflächlichen Anbiederung mit der ganzen „Truppe“! „In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister!“ Dieses schöne Wort gilt voll und ganz auch für den Meister-Aspiranten, ja für jeden Lernenden, der es damit ernst meint.