1.5 Das Zentrum
Ungenügende Beobachtung des Zentralgebietes als typischer, stets wiederkehrender Fehler. Das Zentrum als der Balkan des Schachbrettes. - Über die beliebte aber strategisch zweifelhafte „Schwenkung“ von der Mitte nach den Flügeln hin. - Über Zentralinvasion. Die Okkupation der Zentralfelder.
Daß es in gewissen Stellungen notwendig ist, die Figuren gegen das gegnerische Zentrum zu richten, dürfte allgemein bekannt sein. Beispielsweise in den durch weiße Bauern e4, f4, schwarze Bauern d6, f7 (oder weiße d4 und c4 gegen e6 und c6) charakterisierten Stellungen. Weniger bekannt ist es dagegen, daß eine Beobachtung der Mitte auch bei halbwegs verrammelter Bauernstellung eine strategisch angezeigte Notwendigkeit darstellt. Das Zentrum ist der Balkan des Schachbrettes; Kriegshandlungen daselbst liegen stets und immerdar in der Luft. Ich erinnere zunächst an die im Sinne des Zentrums ganz harmlos anmutende Stellung, entstanden nach den Zügen
Ein anderes Beispiel zeigt der Anfang einer Partie Capablanca-Matinez (1914).
Nach den ersten sechs Anfangszügen hätte Schwarz bei etwas geschickterer Zentralstrategie die Initiative erlangen können. Man sehe:
Eine andere Möglichkeit bot 6. ... Sd4 (statt 6. ... d6), zum Beispiel
Alle diese eben vorgeführten Fälle lehren, daß die Funktion der Springer auf c3 und c6 nicht allein darin besteht, die respektiven Bauernvorstöße d4 bzw. d5 zu unterbinden. Nein, diese Ritter haben zudem noch die als solche klar nachweisbare Verpflichtung, bei der ersten Unterlassung des Gegners, eine Zentralinvasion durch Sd5 bzw. Sd4 vorzunehmen. Eine solche Unterlassung pflegt bei vielen Amateuren an der Tagesordnung zu sein, da dieselben eine Vorliebe zeigen für eine frühzeitige Schwenkung nach den Flügeln hin. Daß man sich hierbei über die Frage, ob der Mitte nicht zu viel Truppen entzogen würden, nicht allzusehr den Kopf zerbricht, ist leider eine nicht wegzuleugnende Tatsache. Konnte sich doch viele Jahre hindurch folgende dilettantische Spielweise behaupten (wohlgemerkt auch im Meisterturnier!!):
Vor der vorstehend angedeuteten „Schwenkung“ kann übrigens nicht genug gewarnt werden. Ich gebe nachfolgend ein unblutig verlaufenes Beispiel, weil ich es mit Lesern zu tun habe, bei denen ich es glücklicherweise nicht nötig habe, stets mit dem Teufel und Beelzebub zu drohen. Dieses Beispiel lautet:
Und nun geben wir eine ganze Partie, weil dieselbe für die selbst bei starken Spielern häufig vorkommende Geringschätzung der Zentralstrategie bezeichnend ist.
An Hand dieser, übrigens trotz aller Unterlassungen amüsanten und ideenreichen Partie hatten wir so recht Gelegenheit dazu, das Zentralproblem zu beleuchten. Ungenügende Beobachtung der Mitte zeigte uns Zug 5 von Schwarz. Eine Unterdeckung des Zentrums, gleichzeitig eine typisch fehlerhafte Schwenkung vom Zentrum nach den Flügeln hin sahen wir beim 12. Zuge von Weiß. Im 14. Zuge unterschätzt Schwarz den Wert des Schlüsselpunktes, denn sonst hätte er 14. ... Sxe5 riskiert. Und schließlich zeigen unsere Noten zum 18. Zuge ein lehrreiches Beispiel für Okkupation von Zentralfeldern. Die Moralanwendung lautet: 1. Das Zentrum beobachten! 2. Überdecken! 3. Nicht vorzeitig schwenken! 4. Nachdem die Bauern weg sind (e5), hat man wenigstens die Punkte zu okkupieren! (= Figuren als Ersatzblockeure für Kettenbauern, siehe unter Bauernkette.)